Neuendettelsau
im Wandel der Zeit

Neuendettelsau in den Weltkriegen: Schicksale, Lazarette und Diakonissendienst

Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts hinterließen tiefe Spuren in den Städten, Dörfern und Familien Europas. Auch Neuendettelsau blieb von den politischen und militärischen Ereignissen nicht verschont. Männer wurden zum Dienst an der Front einberufen, während Frauen, Kinder und ältere Menschen Aufgaben in Landwirtschaft, Handwerk und Pflege übernahmen. Die Auswirkungen des Krieges waren überall spürbar – in persönlichen Schicksalen, im öffentlichen Leben und im Alltag der Menschen. Die folgenden Abschnitte beleuchten die Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Neuendettelsau, zeigen, wie die Gemeinde und ihre diakonischen Einrichtungen auf die Herausforderungen reagierten, wie Soldaten und Zivilisten litten und wie der Einsatz der Diakonissen für den Lazarett- und Pflegebereich Teil einer langen Tradition freiwilliger Krankenpflege war. Gleichzeitig erinnern die Texte an die vielen Opfer – Soldaten, Zivilisten und Diakonissen – und an das Vermächtnis des Dienens und des Gedenkens, das bis heute spürbar ist.

 Erster Weltkrieg 1914–1918

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden zahlreiche Männer aus Neuendettelsau zum Militärdienst einberufen. Viele kehrten nicht zurück; etwa hundert Soldaten der Gemeinde fielen in den vier Kriegsjahren. Briefe und  Feldpostkarten geben noch heute Einblick in die Erfahrungen der Soldaten, berichten von Hoffnung und Angst, von Kameradschaft, Entbehrung und tiefer Sehnsucht nach der Heimat. An der Heimatfront war das Leben von Entbehrung und Sorge geprägt. Frauen, Kinder und ältere Menschen mussten Arbeit in Landwirtschaft und Handwerk übernehmen, Lebensmittelknappheit und Sorgen um die Männer an der Front bestimmten den Alltag. Kirche und Diakonissenanstalt boten Trost und praktische Hilfe.

Die Kriegs-Sanitätsordnung von 1878 legte fest, dass die freiwillige Krankenpflege in die militärische Pflege integriert werden müsse. Aufgrund dieser Regelung erklärte sich bereits 1913 das Neuendettelsauer Mutterhaus bereit, im Kriegsfall 64 Diakonissen für den Lazarettdienst zu stellen. Diese sollten durch das Mutterhaus auf eigene Kosten ausgerüstet werden, um den militärischen Krankenpflege-Dienst übernehmen zu können. Alle für den Kriegsdienst vorgesehenen Diakonissen wurden von Rektor Wilhelm Eichhorn persönlich mit den Worten angeschrieben: „Nachdem es nun den Anschein hat, dass mit Gottes Zulassung ein Krieg gefährlicher Art wohl ausbrechen wird, tritt an die Schwestern die große Aufgabe heran, das Elend der Verwundeten durch ihre Pflege stillen zu helfen... Ihre Vorstände haben Sie mit ausersehen unter den 21 Pflegeschwestern Diakonissendienst zu üben.“ Nach Kriegsende blieb die Trauer um die Gefallenen allgegenwärtig; viele Familien trugen Wunden, die nie ganz heilten.

Zweiter Weltkrieg 1939–1945

Auch der Zweite Weltkrieg brachte Leid, Zerstörung und Tod nach Neuendettelsau. Schon in den Jahren vor Kriegsbeginn hatte der Nationalsozialismus das öffentliche Leben geprägt: Straßennamen wurden geändert, Vereine und Institutionen gleichgeschaltet, das gesellschaftliche Leben kontrolliert. 1934 begann in Neuendettelsau der Bau der Luftmunitionsanstalt im Baronswald, kurz „Muna“ genannt. Dort wurden Munition und Sprengkörper produziert und gelagert. Zahlreiche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa mussten unter harten Bedingungen arbeiten. Heute erinnert ein Denkmal am Eingang zum Muna-Rundweg an ihr Schicksal und an die vielen Menschen, die dort Zwangsarbeit leisten mussten.

Viele Männer aus Neuendettelsau waren an die Front verlegt worden; etwa 200 von ihnen kamen im Laufe des Krieges ums Leben oder gelten bis heute als vermisst. Zwischen 1939 und 1945 versorgten vier Lazarette zeitweise etwa 600 Verwundete. Bereits am 6. September 1939 wurden das Kurheim (heute St. Martin Förderschule), ein Teil des danebenliegenden Krankenhauses sowie der linke Teil des Schulzentrums der Diakonissenanstalt als Lazarette umfunktioniert. Darüber hinaus diente das Freizeitenheim als Teillazarett des Reservelazaretts Neuendettelsau. Am 17. April 1945 kam es zu Luftangriffen auf das Muna-Gelände. Der Ort Neuendettelsau selbst blieb weitestgehend verschont; es gingen nur wenige Fensterscheiben zu Bruch. Auf dem Muna-Gelände wurden elf Menschen verletzt und zwei getötet. Erst danach endeten die Kampfhandlungen in und um Neuendettelsau, als am 18. April 1945 amerikanische Truppen die Kapitulationsaufforderung überbrachten.

Auf dem Dorf- und Anstaltsfriedhof befinden sich heute 28 Soldatengräber aus dieser Zeit, die stellvertretend für die zahllosen Opfer des Krieges stehen – Soldaten und Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, Menschen aller Nationen.
In den diakonischen Einrichtungen Neuendettelsaus zeigten sich ebenfalls die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie. Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen wurden Opfer der sogenannten Euthanasie. Von den rund 1.750 Bewohnerinnen und Bewohnern der Anstalten wurden 1.205 in staatliche Einrichtungen verlegt. 439 von ihnen wurden ermordet, weitere 394 starben in diesen Einrichtungen. Das Mahnmal „Der Gute Hirte“ erinnert heute an die Opfer und mahnt zur bleibenden Verantwortung, das Leben jedes Menschen zu achten.

Bei den Luftangriffen auf Nürnberg waren unter den Opfern auch sechs Diakonissen; ihre Namen und ihr Einsatz bleiben in Erinnerung als Zeugnis ihres selbstlosen Dienstes an anderen.

Die Erinnerung an die Opfer und der Dienst der Helferinnen und Helfer mahnen uns, Frieden und Menschlichkeit stets zu bewahren.


„Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.“

John F. Kennedy